[Teil 2/3] Gebote des perfekten Spielers

Flickr: Markus Erne: 10 Commandments (Lizenz: CC-BY-NC-ND 2.0)

Der in meinen Augen ideale Spieler befolgt zwölf Gebote. Die erste Tafel mit den ersten vier Geboten der Organisation und Einstellung war Gegenstand des ersten Beitrags dieser Minireihe. Der folgende Teil beschäftigt sich mit dem Spielercharakter des perfekten Spielers und seiner Erschaffung. Während der erste Teil noch sehr allgemein war und vermutlich einige Zustimmung erfahren konnte, könnten die nachfolgenden vier Gebote bereits auf mehr Widerspruch stoßen. Aber vielleicht ist er auch Inspiration für einige derjenigen, die meine Ansicht vom Rollenspiel nicht teilen.

Die Liste der Gebote:

I. Tafel: Organisation und Einstellung

  • Du sollst ein Mitorganisator sein
  • Du sollst keine (geheimen) Tabus haben
  • Du sollst mit mir reden
  • Du sollst dich auf meine Runde einlassen wollen

II. Tafel: Dein Charakter und seine Erschaffung

  • Du sollst keinen Helden erschaffen
  • Du sollst keine Abhandlungen über deinen Charakter schreiben
  • Du sollst deine Vor- und Nachteile definieren
  • Du sollst deinen Charakter mehr als Werte geben

III. Tafel: Dein Verhalten im Spiel

  • Du sollst die Welt beleben
  • Du sollst die Regeln irgendwann einmal kennen
  • Du sollst mit deinem Charakter Dinge tun
  • Du sollst den Regel- und Quellenbüchern nicht vertrauen

Die Tafel Zwei

Du sollst keinen Helden erschaffen

Ich akzeptiere nicht, dass dein Charakter ein Held ist, weil er geile Werte hat und in seinem Hintergrund steht, er sei total heroisch. Ich akzeptiere deinen Charakter nach der Erschaffung nur als Protagonist. Ein Held hat für mich klare Ziele, für die er bereit ist, Opfer zu bringen. Dafür braucht dein Charakter nicht einmal gute Werte. Es ist deine Aufgabe, das auszuspielen. Wenn dein Protagonist eine feige Sau ist und nie etwas riskiert, wird er auch nie mehr sein als ein Edelsöldner oder ein Abklatsch seines Charakterhintergrunds.

Ich verspreche, ich gönne dir jede Chance, einen Helden zu spielen, wenn dein Charakter wie ein Held handelt.

Tipp: Ich verrate zwei Geheimnisse, die ich nicht wiederholen werde: Ich will eine coole Geschichte mit Euch spielen. Die meisten Herausforderungen sind machbar oder bieten wenigstens die Möglichkeit, rechtzeitig zu fliehen. Wenn eine Aufgabe scheitert, nutze ich das, um die Geschichte voranzutreiben. Gehe also ruhig einmal ein Risiko ein und ärgere dich nicht über jeden Fehlschlag. Außerdem vergebe ich gerne einen Bonus auf deine Würfe, wenn du mir spannende Aktionen schilderst, die über den Standard hinaus gehen. Nutze das und erzähle aktiv mit.

Du sollst keine Abhandlungen über deinen Charakter schreiben

Wenn ich Geschichte lesen will, lese ich ein Buch. Am Anfang einer Kampagne möchte ich wissen, warum dein Charakter rockt, spannend und interessant ist. Dafür reicht eine DIN A5 Seite locker aus. (Arial, Schriftgröße 11, sind ca. 1.500 Zeichen.) Wenn du per Hand schreibst, schreibe lesbar.

Wenn du das Dokument oder Blatt nicht selbst in die richtige Größe bringst, mache ich das. Dann gehen möglicherweise Informationen verloren, die dir wichtig waren. In 1.500 Zeichen kann man eine Menge Informationen unterbringen, deshalb solltest du dich nicht abschrecken lassen. Weniger darfst du schreiben, gar nichts schreiben ist ein Unding und zeigt lediglich, dass dein Charakter für die Geschichte langweilig ist.

Ich verspreche, ich lasse dir freie Hand, was du in den Hintergrund schreibst, lese deine Hintergrundinformationen aufmerksam und beziehe sie in die Kampagnenplanung ein.

Tipp: Nutze den Platz, um Informationen zu notieren, von denen du möchtest, dass sie im Spiel relevant werden. Das ist eine Chance, keine Schikane. Nutze den Platz zum Beispiel um einen Traum deines Charakters zu definieren. Sehr interessant kann sein, seine Wertvorstellungen festzuhalten. Was ist eine Tugend, die er immer unterstützen möchte? Was ist eine Sünde, die er nicht zulassen würde? Wer ist die wichtigste Person in seinem Leben? Sei kreativ.

Du sollst deine Vor- und Nachteile definieren

Manche Nachteile scheinen im Regelwerk klar definiert, während andere allgemein gehalten sind und eigene Ausarbeitungen erfordern. Du sollst aber mehr leisten als Regeltexte zu lesen. Definiere deine Vor- und Nachteile immer selbst. Du hast ein Feind? Dann definiere ihn. Warum ist er dein Feind? Du bist einäugig? Was steckt dahinter? Beschränke dich aber auch hier. Ein Haupt- und ein Nebensatz reichen meistens vollkommen, um deinen Charakter interessanter zu machen und ausreichend Informationen zu liefern.

Ich verspreche, ich lese auch deine Definitionen aufmerksam und gewähre dir dafür Platz über das DIN A5 Blatt deines Charakterhintergrunds hinaus. Wenn du Hilfe brauchst, helfe ich dir selbstverständlich.

Tipp: Benutze die Vor- und Nachteile als Inspiration für mehr interessanten Charakterhintergrund. Du darfst dabei die Spielwelt mitgestalten und NPCs einführen, also nutze diese Möglichkeit auch, aber bedenke, dass alles, was du schreibst, auch relevant werden kann.

Du sollst deinen Charakter mehr als Werte geben

Dein Charakter entspricht mehr oder weniger deutlich einem Archetyp und sollte natürlich Werte haben, die diesem Archetypen entsprechen. Lass dich davon aber nicht einschränken. Wir erzählen eine Geschichte und auch gescheiterte Proben können diesem Zweck dienen. Traue dich, Werte deines Charakters auch als Fluff zu bestimmen, statt lediglich seine Primäreigenschaften zu maximieren.

Ich verspreche, dass alle Eigenschaften irgendwann einmal wichtig werden können.

Tipp: Wir wissen beide, dass es Eigenschaften wie Wahrnehmung gibt, die universell und unverzichtbar scheinen, während andere Eigenschaften, wie Flugzeugfliegen oder auch Fahren, selten wichtig werden.[1] Bedenke, dass ich das auch weiß. Stiefmütterlich behandelte Eigenschaften sind auch bei mir nicht oft wichtig, aber wenn sie wichtig werden, dann werden sie wirklich wichtig! Und meistens gibt es dann auch besondere Belohnungen im Erfolgsfall.

Anmerkungen:
[1]: Welche Fertigkeiten das sind, ist natürlich letztlich Setting abhängig und auch von der Gruppe. Ich glaube aber, dass jedes halbwegs komplexe System eine Auswahl weniger wichtiger Eigenschaften aufweist.

Bilder
Beitragsbild: Flickr: Markus Erne: 10 Commandments (Lizenz: CC-BY-NC-ND 2.0)
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2 Gedanken zu „[Teil 2/3] Gebote des perfekten Spielers

  1. Wie der vorherigen „Tafel“ kann ich auch dieser fast vollständig zustimmen.

    Den ersten Punkt würde ich persönlich aber noch ergänzen wollen. Denn auch wenn keiner Held von Anfang an ist, so ist es doch für so manches System wichtig, dass ein Char das volle Potenzial zum archetypischen Helden hat. „Bauerngaming“ funktioniert in manchen System einfach mies, weil die Herausforderungen so angelegt sind, dass man ihnen Chars mit ordentlich Feuer im A**** entgegesetzen muss (damit meine ich natürlich keine Systeme in denen die Unterlegenheit der Chars dazu gehört, wie Cthulhu).

    Das habe ich bei Feng Shui erlebt. Dort habe ich einen Char unter völlig falschen Prämissen gebaut und war dafür fast allen Herausforderungen (oft haushoch) unterlegen.

    Daher würde ich optional je nach System sagen „Schaffe jemanden der mehr als das heldenhafte Opfer sein kann“.

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    • Auf einer allgemeineren Ebene stimmt das natürlich. Wenn man Systeme und fertige Abenteuer streng auslegt, die von einigermaßen kompetenten Charakteren ausgehen, dann führt Bauerngaming zu solchen Misserfolgen, wie du sie für Feng Shui beschreibst. Bezogen auf meine Gebote liegt in meinen Augen ein Missverständnis vor:

      Der erste Punkt ist von der Thematik Bauerngaming vollkommen unabhängig. Es geht beim ersten Punkt nicht um Charakterwerte, sondern um das Verhalten des Charakters, das ihn als Held auszeichnet. Das Gebot bezieht sich nicht auf die Regelebene, sondern auf die Fluff-Ebene, das Charakterspiel und die Entscheidungen der Spieler über ihr Vorgenen. Es verbietet nicht den Charakter zu optimieren oder von Anfang an einen Helden auszuspielen. Die Einhaltung des Gebots ist für mich entscheidend in der Frage, ob die Charaktere als Helden wahrgenommen werden oder einfach nur als kompetente Söldner oder Settingabhängig ein entsprechendes Äquevalent. (Für mich gibt es auch keine „heldenhafte Opfer“. Helden können scheitern, sterben oder sich selbst opfern. Wichtig ist, dass sich der Charakter dabei immer heldenhaft verhält. Deshalb kann auch ein altersschwacher Cthuhlhu-Professor für mich ein Held sein, wenn er alle Kräfte mobilisiert, um sich auch in aussichtslosen Situationen für eine heldenhafte Sache einzusetzen.)

      Die Gebote dieser Reihe gelten außerdem für Spieler, die bei mir oder jemand, der zu mir vergleichbar leitet, spielen. Ich leite selten Kaufabenteuer und versuche meine Kampagnen auf die Charaktere auszulegen, sowohl was die Geschichte als auch die Werte angeht. Dadurch sind meine Herausforderungen zwar manchmal fordernd, aber nie außerhalb dessen, was ich für schaffbar halte, wenn die Charaktere sich halbweg gut vorbereiten, halbwegs clever agieren und nach besten Möglichkeiten als Gruppe zusammenarbeiten. Deshalb sollte auch eine Gruppe voller Bauerngamer nicht in die Verlegenheit kommen, dass sie regelmäßig haushoch überlegen ist.

      Ich hoffe, dass das alles einigermaßen verständlich war.

      Beste Grüße
      Sal

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