Ein Spaghetti-Western aus Western City

Ein Rollenspiel, dass schon länger auf meiner Have-to-Try-Liste steht, ist das spielleiterlose Western-Rollenspiel Western City. Ich habe Western City letzten Oktober ausprobiert, aber die Korrektur des Artikels aufgeschoben. Damit hatte ich genug Zeit, um über meinen ersten Eindruck nachzudenken und zu einem Fazit zu kommen: wir hatten zu dritt viel Spaß! – Trotz der Regeln?

Das Setting

Western City spielt in der namensgebenden Stadt Western City, deren Stadtbeschreibung schnell zusammengefasst ist: Western City ist eine Stadt im Wilden Westen, die alles und jeden hat, was und wer für die Geschichte benötigt wird und worauf man sich mit seinen Mitspielern einigen kann. (Das kann optional auch die Existenz von Magie einschließen.) Die genaue Ausgestaltung der Stadt beginnt bereits bei der Charaktererschaffung, wo in erster Linie Orte eingeführt werden, die mit den Spielercharakteren in Beziehung stehen.

Bei uns bedeutete das zum Beispiel, das Western City an einem Fluss mit vielen Seitenarmen lag. Der Hauptarm, der hinter dem Saloon Colosseo entlang führt, ist allerdings ausgetrocknet, weil ein asiatischer Großgrundbesitzer einen Staudamm gebaut hat, um seine Reisfelder zu bewässern. Das hat sich im Spiel als irrelevant erwiesen. Ebenso, dass es kein zweiter Saloon in der Stadt je geschafft hat, sich zu etablieren, weil jeder andere Saloon schnell pleite ging oder von Indianern niedergebrannt wurde. Aus den Ruinen des letzten, zweiten Saloon steigt bis heute der Rauch des letztens Überfalls auf auf.

Tatsächlich relevant hingegen war der Sheriff, der mit seinen zwei Handlangern durch die Stadt zieht und seit drei Jahren für Ruhe in der Stadt sorgt. Nach zwei Jahren Amtszeit wurde ihm deshalb im Western City Observer eine ganze Seite gewidmet, die nun in seinem Büro hängt und für den der Journalist des Ortes gehasst wird. Während dieser noch immer ganz begeistert von dem Sheriff ist, zieht der Gesetzeshüter durch die Stadt und verlangt von allen anderen Schutzgeld.

Das waren nur wenige Beispiele aus Western City, wie es bei uns an einem Nachmittag entstanden ist. Das Meiste wurde tatsächlich gemeinschaftlich ausgebaut, nachdem eine Idee in den Raum geworfen wurde und diese assoziativ ausgebaut. In meinen Augen ist eine lebendige Stadt und Spielwelt entstanden, die ich hoffentlich noch einmal verwenden kann. Es wäre ansonsten schade um alle Ideen, die darin untergebracht und nicht genutzt wurden.

Die Regeln

Western City ist ein sehr erzählerisches Rollenspiel. Das Regelwerk gibt von der Charaktererschaffung bis zur letzten Szene einen Leitfaden, um geordnet eine Geschichte zu entwerfen und Szene um Szene zu spielen. Nur wenn es zwischen den Spielern Uneinigkeit gibt, greifen die Regeln ein und führen zu einer Versteigerung. Dafür bekommt jeder Spieler zu Beginn die gleiche Anzahl an Pokerchips, von denen jeder bei einer Versteigerung nach einander einen in den Pott werfen kann, bis keiner mit ihm mitgeht. Wer die meisten Chips investiert, kann die Uneinigkeit nach seiner Vorstellung auflösen.

Weiterhin können Pokerchips in den Pott geworfen werden, um Fakten oder NSCs einzuführen oder eine schlechte Eigenschaft eines (anderen) Charakters zu aktivieren. Widerspricht jemand kommt es zu einer Versteigerung. Wirft jemand seinen seinen Silberdoller (oder andersfarbigen Pokerchip) in die Mitte, von denen er zu Beginn einen bekommt, kauft er sich seine 12Uhr-Mittags-Szene und ist vor Widersprüchen der anderen geschützt, um seinem Charakter einen eindrucksvollen Höhepunbkt zu ermöglichen.

In Western City gibt es grundsätzlich keine normalen Proben, sondern ausschließlich vergleichende Proben zwischen Charakteren. Wird ein Charakter nicht durch einen anderen Charakter oder NSC gestört, kann er problemlos aus dem zweiten Stock auf ein galoppierendes Pferd springen und dabei das Gespann von der Kutsche frei schießen, um aus der Stadt zu fliehen.

Stellt sich jemand dem Charakter aktiv in den Weg, gibt es eine vergleichende Probe. Dafür hat jeder Charakter oder Statist die drei Attribute Körper, Geistiges und Ausstrahlung, die angeben, wie viele w6 er benutzen darf. Die Fertigkeiten des Charakters bestimmen, bis zu welcher Augenzahl ein Würfel noch als Erfolg zählt. Wer die meisten Erfolge erzielt, gewinnt. Es wird im Regelwerk angedeutet, dass je Szene nur eine solche Probe geworfen werden soll, die die Szene schließlich auflöst.

Kämpfe bestehen aus mehreren vergleichenden Proben, die Kampfsequenzen darstellen. In einer Kampfsequenz würfeln alle und handeln in absteigender Reihenfolge, gemäß ihrer Menge an Erfolgen. Dabei entspricht jeder Erfolg einem Schadenspunkt, die beliebig unter den Anwesenden verteilt werden können. Nur im Nahkampf können sie auch Schaden absorbieren. Dadurch stellt eine Kampfsequenz bereits eine umfangreiche Schießerei dar.

In der Praxis

Beim Spielen hatten wir viel Spaß, waren aber oft unsicher, ob wir die Regeln gemäß ihrer Intention verwendet haben. Bei vielen Szenen hat keiner gewusst, wo man wohl hätte würfeln sollen und die Pokerchips sind niemanden ausgegangen und wurden auch nicht wieder neu verteilt, weil die notwendige Situation dafür nicht erreicht wurde. Zweifellos hätten wir noch sehr viel strikter nach den Regeln spielen können, wenn wir gewollt hätten.

Spieleinstieg

Der Spieleinstieg war leicht. Die Regeln sind überschaubar und lassen sich meistens während der Charaktererschaffung gut erklären. Dadurch kann man ohne viel Vorbesprechung schnell mit der Charaktererschaffung beginnen. Dafür verteilt ein paar Werte, wählt einen Beruf und die Fertigkeiten nach einem vorgegeben Schema, wobei die Liste der Fertigkeiten einen Vorschlag darstellen und nach Bedarf erweitert werden kann. Anschließend erhält jeder Charakter einen Ort und einen Gegenstand, mit dem er besonders verbunden ist, die ihm Bonuswürfel geben, wenn sie bei einer Probe relevant sind.

Die Auswahl des Berufs und der Fähigkeiten animieren zu einem groben Hintergrund für den Charakter. Ort und Gegenstand hingegen sind für den Charakter so wichtig, dass sie zu besonderen Ereignissen oder Zielen des Charakters animieren. Dadurch hat ein Charakter deutlich Farbe gewonnen. Außerdem hat besonders die Auswahl eines Ortes dazu geführt, die Stadt zu gestalten.

Zum Abschluss der Charaktererschaffung erhält jeder Charakter eine negative Eigenschaft, seine Hybris, und zwei NSCs, mit denen er verbunden ist. Ein NSC ist ein Freund und der andere ist ein Feind des Charakters. Die Spieler wählen als letztens noch einen NSC eines anderen Charakters als Bekannten, der weder Freund noch Feind ist. Western City ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit einigen NSCs bevölkert, die verschiedene Beziehungen zu den Spielercharakteren haben.

Neben den Spielercharakteren gibt es die doppelte Anzahl NSCs und einige Verbindungen zwischen Charakteren und NSCs. Da weitere Statisten jederzeit erschaffen werden können, ist das auch nur eine erste Basis. Zahlreiche Fakten zu Western City kamen dabei von alleine zusammen. Selbst wenn die Spieler weniger aktiv ihre Assoziationen spielen lassen, hat man nach der Charaktererschaffung genug Material in der Hand, um Handlungsaufhänger und Hintergrundmaterial mehr als ausreichend zur Hand zu haben.

Oneshot

Gemäß der Regeln ist Western City ein Oneshot-System, bei dem es darum geht, wie jeder Charakter sein persönliches Ziel erreicht oder dabei heldenhaft scheitert. Dabei reicht bereits das Ziel, die Tochter des Salonbesitzers zu küssen. Die vorgeschlagenen Szenen sollen sich, um die Erreichung des Ziels drehen, was wir aber oft nicht eingehalten haben, weil lieber Szenen vorgeschlagen wurden, die spannend erschienen, selbst wenn gelegentlich gar kein Spielercharakter aufgetaucht ist.

In lockerer Atmosphäre mit einigen Abschweifungen haben haben wir fünf Stunden gespielt und alle Ereignisse gespeilt, die wir uns vorgenommen haben. Die letzte Szene mussten wir noch einmal anpassen, weil die geplante Überführung eines Falschspielers daran gescheitert ist, dass er bereits in der Szene zuvor abgeführt wurde. Solche Situationen sind aber vorgesehen und sollen entsprechend angepasst oder notfalls auch mal hingenommen werden. Western City eignet sich in meinen Augen dazu, an einem Tag gespielt zu werden. Mit guter Regelkenntnis oder bereits bestehenden Charakteren und Hintergründen, kann man es auch bequem an einem Abend spielen.

Kampagne

Für die Kampagne werden größere Ziele für die Charaktere gewählt und für die einzelne Spielsitzung Teilziele definiert bzw. viele kleinere Ziele nacheinander gewählt. Für die Charaktersteigerung werden Regeln geboten, um das Kampagnenspiel zu unterstützen. Der Spielbarkeit einer Kampagne sollte nichts im Weg stehen.

Durch die ständig wachsende Stadt könnte die Übersicht verlorengehen, wenn der Hintergrund nicht übersichtlich festgehalten wird. Insbesondere, wenn häufiger Spieler ausfallen oder neue Spieler einsteigen, weil die Stadt vermutlich schnell wächst.

Das Buch

Western City ist als Softcover A5 als PocketRPG von Prometheus Games erschienen. Es gibt unterschiedliche Formate für Text, Beispiele, optionale Regeln und Anmerkungen, die diese gut unterscheidbar machen. Mehrere Kapitel führen durch die Charaktererschaffung, die Regeln vor dem Spiel, um einen Handlungsbogen aufzustellen, und die Regeln während des Spiels. Charakterbögen und Statistenbögen dürfen natürlich nicht fehlen und stehen auch zum Download zur Verfügung.

Inhaltlich gibt es einige nervende Kleinigkeiten im Format, beispielsweise Tabellenüberschriften, die in der falschen Zeile stehen. Beim Lesen wirkte das Regelwerk schlecht strukturiert und unübersichtlich. Weiterhin fehlt ein Index. Während des Spiels Regeln nachzuschlagen, ist daher trotz des geringen Umfangs ein Ärgernis geworden, beispielsweise findet man Ausführungen zum Szenenbeschreiber über verschiedene Kapitel gestreut und nirgendwo zusammengefasst.

Regeln erschienen nicht immer eindeutig und manche Regeln, wie die Versteigerung, wurden mehrmals für unterschiedliche Gegenstände ausgeführt. Das hätte man gut zusammenfassen können, weil die Unterschiede zwischen der Versteigerung von Fakten und der Versteigerung von Szenen nicht groß sind. So muss man aber wild blättern, ob man die richtige Versteigerung bereits gefunden hat.

Fazit

Wir hatten viel Spaß und es sind bei uns viele unterhaltsame Ideen zustande gekommen, obwohl ich das Gefühl habe, dass wir uns nur sehr lose an die Regeln gehalten haben. Ich schätze, dass mehr Regelanwendung das Profil der Szenen gestärkt hätte. Wer in seiner Runde gemeinsam einen guten bis verrückten Western erzählen möchte, hat mit Western City einiges an Potential in der Hand.

Wegen der Unübersichtlichkeit des Regelwerks kann es helfen, wenn alle Spieler die Regeln im Vorfeld bereits gelesen haben und man bereit ist, Regeln zu improvisieren, um sie nach der Runde in Ruhe nachzuschlagen. Für knapp 15 Euro kann ich persönlich über die Schwächen von Western City hinwegsehen und mir vorstellen, es wieder zu spielen.

Einige Links zu Western City

Western City auf Pro Indie
Western City bei Prometheus Games

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2 Gedanken zu „Ein Spaghetti-Western aus Western City

  1. Vielen Dank nochmal für das anbieten seinerzeit. Hat sehr viel Spass gemacht. Jetzt muss ich noch einen Blog auf deine To Play Liste werfen, ist immer ein guter Ideengeber.

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