Wer Indiana Jones und Rollenspiel liebt, kam sicherlich schon einmal auf den Gedanken, am Spieltisch selbst mythische Artefakte zu jagen und Nazis in ihre Grenzen zu prügeln. Hollow Earth Expedition verspricht Abenteuer, die diesen Wunsch erfüllen. Als Spielleiter läuft seit einer Weile meine Hollow Earth Expedition Kampagne. Anlass genug, meine Meinung zum deutschen Grundregelwerk von Hollow Earth Expedition loszuwerden.
Das Setting
Wir schreiben das Jahr 1936. Die Hochzeit der Entdecker, Glücksritter und Wissenschaftsoptimisten des 20. Jahrhunderts. Die Welt ist in Aufbruchsstimmung und Entdeckerlaune. Die Spieler übernehmen die Rolle von Charakteren, die auf Entdeckungsreise gehen, an Expeditionen teilnehmen oder zufällig in abenteuerliche Ereignisse hineingezogen werden.
Die Welt entspricht im Grunde unserer Gesichtsschreibung, was aber nach Willen der Autoren nicht zur Geschichtsstunde ausarten soll. Außerdem ist die Erde hohl und Atlantis war eine Hochburg der Technologie, deren Bewohner sich irgendwann in das Erdinnere zurückgezogen haben. Daher gibt es verschiedene geheime Organisationen, die auf den Spuren von Atlantis wandeln. Die Terra Arcanum versucht beispielsweise die Existenz der Hohlwelt mit allen Mitteln zu verbergen, während die naziaffine Thule Gesellschaft die vergessene Technologie zu Kriegszwecken erforscht.
An der Erdoberfläche warten in den zu jener Zeit noch unerforschten Dschungeln, Wüsten und im ewigen Eis zahlreiche Überreste vergangener Kulturen auf ihre Erforschung. In der Hohlwelt kommen weitere Überreste atlantischer Technologie und Kultur sowie Eingeborene, Piraten, Dinosaurier und eine prähistorische Pflanzen- und Tierwelt hinzu.
Die möglichen Abenteuer sind vielfältig. Die Spur verschwundener Wissenschaftler, Schiffsunglücke oder Expeditionen können in die Hohlwelt führen, in die man grundsätzlich leichter hinein als aus ihr heraus kommt. NSCs können aus den Händen der Nazis gerettet werden, die daran gehindert werden müssen, atlantische Technologie in die Hände zu bekommen, um sie für den Krieg zu verwenden. Die Charaktere können aber auch einfach dem Abenteuerdrang hingeben auf der Suche nach mythischen Orten und Artefakten.
Ergänzt werden die Beschreibungen der Hohlwelt durch einige Geheimorganisationen, wie den bereits genannten, der Terra Arcanum und der Thule Gesellschaft. Außerdem Forschervereinigungen, die ihre Ressourcen nutzen wollen, um die noch unbekannten Gebiete der Welt zu erkunden.
Für die Hohlwelt werden verschiedene Eingeborenenstämme, wie Piraten oder Tiermenschen beschrieben, aber auch Dinosaurier, Säbelzahntiger und einige Worte zu den naturgesetzlichen Eigenheiten der Hohlwelt werden mitgeliefert. Dazu kommen Genrekonventionen, die das pulpige Gefühl der Abenteuer einfangen sollen. Dazu gehört beispielsweise die ehrenhafte Gesinnung der Helden, nach ihrem vermeintlichen Tod wiederkehrende Bösewichte, Cliffhanger, tödliche Fallen und die Trennung der Gruppe.
Insgesamt bildet das aber gerade in der Hohlwelt weniger ein detailliertes Setting als ein Ideensteinbruch, aus dem sich der Spielleiter bedienen kann. Im Spielleiterkapitel werden potentielle Abenteuer und Kampagnen stark auf die Flucht aus der Hohlwelt konzentriert. Grundsätzlich liefert das Regelwerk also mehr Ideen als ein fertiges Setting, auch wenn die politische, kulturelle und technische Welt von 1936 zu Beginn zusammengefasst wird.
Mir selbst gefällt es, als Spielleiter die interessantesten Aspekte auswählen zu können, ohne das Setting zu (zer)stören. Anderen Spielleitern hingegen mögen fehlende Beziehungen zwischen den verschiedenen Bewohnern und Gruppierungen in der Hohlwelt vielleicht fehlen. Grundsätzlich halte ich es aber auch für wesentlich, dass man nicht zu sehr auf den Details herumreitet, um sich auf Aktion und Abenteuer der Pulpwelt einzulassen.
Die Akzeptanz der Genrekonventionen ist in meinen Augen gerade auf der Spiellerseite entscheidend. Hollow Earth Expedition lebt von aktion- und einfallsreichen Handlungen der Charaktere und die Bereitschaft sich auf die Spielwelt einzulassen. So stört es die Stimmung sehr, wenn sich Spieler jedes Mal darüber beschwert, wenn die Gruppe getrennt werden soll oder historische Details nicht ganz genau stimmen. Der Spielleiter benötigt einige Bereitschaft, die vorgestellten Ideen selbst zu einem Hintergrund zu verknüpfen, die für seine Gruppe passen, was bei Oneshots naturgemäß einfacher ist, weil weniger Hintergrund erforscht und hinterfragt wird als in einer (glaubwürdigen) Kampagne.
Die Regeln
Die Regeln sollen das Pulp-Gefühl unterstützen und deshalb einfach und schnell sein, um den Spielfluss nicht zu stören. Die verwendeten Ubiquity-Regeln sind in ihrer Grundmechanik schnell erklärt: der Wert in einer Fähigkeit, einem sekundären Attribut oder der doppelte Wert eines primären Attributs sind gleich die Anzahl der Würfel für eine Probe. Welche Würfel verwendet werden, ist egal, wenn sie eine gleiche Anzahl gerade und ungerader Zahlen haben. Gerade Zahlen zählen als Erfolge und müssen in Summe gleich oder mehr sein als der Zielwert. Die Hälfte eines Werts kann jederzeit als automatische Erfolge beansprucht werden, ebenso können bei Werten über 10 jeweils zehn Würfel für fünf sichere Erfolge eingetauscht und nur die übrigen Würfel geworfen werden.
Im Kampf haben unverletzte Charaktere eine Bewegungs-, eine Abwehr- und eine Angriffsaktion zur Verfügung. Angriffe werden als vergleichende Würfe abgehandelt, wobei jeder Erfolg des Verteidigers von den Erfolgen des Angreifers abgezogen und eine positive Differenz als Schaden gewertet wird.
Auch Angriffe auf Objekte, die Effekte von Giften und Krankheiten, Fallschaden und besondere Eigenschaften von Ausrüstungen usw. sind geregelt. Zu guter Letzt erlaubt das Ausspielen von Schwächen und erhaltene Nachteile durch diese, Stilpunkte zu sammeln. Stilpunkte können eingesetzt werden, um Schaden zu reduzieren, zusätzliche Würfel zu verwenden und Fakten in der Spielwelt zu schaffen, wobei verschiedene optionale Regeln für die Stilpunkte und ihre Wirkung für das Spielgefühl vorgestellt werden.
In der Praxis
In der Praxis ergibt sich ein recht einheitliches Bild der Grundmechanismen der Regeln, die auf verschiedene Situationen nach dem gleichen Grundschema angewendet werden. Dadurch sind sie leicht zu erlernen, aber dennoch komplex und vielfältig. Allerdings bleibt häufiges Nachschlagen nicht aus, solange man die Mechanismen nicht verinnerlicht hat. Gerade spezielle Waffen wie Granaten oder spezielle Munition erfordern immer wieder ein Nachschlagen.
Spieleinstieg
Der Spieleinstieg fällt relativ leicht. Die Grundregeln sind schnell erklärt und gut verständlich, wenn man die Grundidee einmal verstanden hat. Die Möglichkeit der automatischen Erfolge macht das Spiel recht schnell und viele Aufgaben gelingen automatisch und gerade der Spielleiter muss fast nie würfeln.
Die Charaktererschaffung geht recht schnell von der Hand. Lediglich die Talente und Schwächen der Charaktere erfordern einiges an Zeit, wenn die Spieler sich durch die Listen blättern und die Beschreibungen genauer lesen. Allerdings ist das in vergleichbar komplexen System selten anders. Benutzt man die Geheimnisse der Oberwelt oder die Mysterien der Hohlwelt werden die Listen länger. Außerdem enthält insbesondere der erste Quellenband weitere und teilweise detailliertere Regeln, die bestehende Regeln teilweise ersetzen. Ohne Vorerfahrung oder Absprache über die Vorlieben der Spieler kann es teilweise schwer sein, festzulegen, welche Regeln man verwenden möchte.
Kampagne
Der Einstieg in die Kampagne verlief gut. Aber im Verlauf mussten immer wieder Regeln im Umgang mit den Stilpunkten angepasst werden, die aber dennoch kaum ausgegeben werden. Die Vorschläge für die Erfahrungspunkte je Abenteuer überschreiten wir deutlich, weil ansonsten die Charaktere zu langsam aufsteigen. Andererseits erschafft man bereits ziemlich kompetente Charaktere.
Wegen der Kompetenz der Charaktere gelingen viele Aufgaben automatisch, wenn man eine trainierte Fertigkeit einsetzt. Patzer sind sehr selten, weil sie nur vorkommen wenn gar kein Erfolg gewürfelt wurde. Sobald Charaktere aber einen Punkt in einer Fertigkeit haben, haben sie auch mindestens einen Punkt in dem dazugezählten Attribut, weshalb die Patzerwahrscheinlichkeit im schlimmsten Fall bei trainierten Fertigkeiten bei 25% liegt. Faktisch werden die Charaktere aber in der Regel deutlich höhere Werte haben, sodass Patzer in der Regel nur bei untrainierten Würfen eine regelmässige Rolle spielen. Das passt zum Setting, würde mir als Spieler aber auch fehlen.
Viele störende Punkte in den Regeln haben mit den Details zu tun, so unterscheiden sich Waffen kaum, obwohl aber eine Vielzahl angeboten wird. Das hätte man gleich deutlich vereinfachen können. Weiterhin machen es die vielen Sonderregeln für einzelne Waffen recht unangenehm verschiedene Waffen zu verwenden. Während die Spieler das weniger stören dürfte, muss der Spielleiter da ein wenig Aufwand betreiben, der mich bereits nervt.
Die meisten Störungen ergeben sich in der Kampagne allerdings, wenn die Genrekonventionen von Spielerseite nicht eingehalten werden, der Spielleiter seine Vorbereitungen aber darauf ausrichtet. Das führt auch schnell dazu, dass das Pulp-Gefühl verlorengeht. Gerade für eine Kampagne lohnt es sich daher, dass Spielleiter und Spieler sich im Vorfeld alle Genrekonventionen gegenseitig einprügeln, an denen sie sich im Spiel orientieren wollen.
Oneshot
Bei einem Oneshot stören die Probleme der Kampagne weniger, weil ich solche stärker plane und weniger Freiheiten lasse, wenn durch diese der Plot ausufern könnte. Die Regeln haben sich im Oneshot besser bewährt als in der Kampagne, weil Detailregeln weniger hinterfragt und daher auch mit Handwedeln gelöst werden können.
Der Oneshot hat darüber hinaus den Vorteil, dass die empfohlene Abwechslung von Aktion und Erholungsphase leichter umzusetzen ist, ohne regelmässig ähnliche Situationen herbeizuführen. In einer Kampagne besteht da schnell die Gefahr, dass die vorgeschlagene Abwechslung eintönig wird oder sich von anderen Rollenspielen nicht unterscheidet.
Grundsätzlich scheint an der Stelle die starke Fokussierung auf das Pulp-Genre, sowohl Stärke zu sein, wenn man Lust darauf hat, als auch Schwäche, wenn die Eigenheiten des Genres nicht von allen beachtet werden.
Aufmachung
Die eigentliche Schwäche von Hollow Earth Expedition ist aber die Aufmachung des Buchs. Dieses kommt in einem stabilen Hardcover daher. Die Innengestaltung ist schwarz-weiß, bis auf die Beispielcharaktere, die farbig hervorstechen und vielleicht die einzige Orientierungshilfe sind, die tatsächlich schnell und praktisch ist. Die Kapitel vor den Beispielcharakteren widmen sich der Charaktererschaffung, die Kapitel danach dem eigentlichen Regel- und Settingteil. Die Bilder sind in meinen Augen ansprechend und nicht störend platziert.
Für die Orientierung gibt es einen Index, der sich in der Vorbereitung bewährt hat, wenn man Hintergrundinformationen nachlesen wollte. Beim Nachschlagen von Regeln hat der Index bisher aber selten geholfen, sodass ich ihn gar nicht mehr ansteuere, wenn ich Regeln suche. Weiterhin sind die Regeln teilweise in den Kapiteln der Charaktererschaffung, teilweise im Regelteil, was auch immer wieder beim Suchen gestört hat.
Weiterhin stören zahlreiche Fehler und Unstimmigkeiten den Spaß. So scheint die Übersetzung lieblos und teilweise sind Regeln nur schwer verständlich. Weiterhin werden Längenangaben, im Englischen „ft.“, mit „Fuß“ offensichtlich automatisch ersetzt, weil auch das eine oder andere Satzende unpassend auf „Fuß“ und ohne Punkt endet. Spätestens beim Einsatz mit den Quellenbänden nervt es schließlich, dass die Angaben mal in ft. mal in Metern angegeben sind und der tödliche Schaden in dem einen Band mit T, in dem anderen Band mit L (engl. lethal) gekennzeichnet ist. Ähnliche Unterschiede ergänzen das schlechte Bild der Übersetzung. Eventuell wäre das bei ausreichenden Englischkenntnissen einer der wichtigsten Gründe, lieber gleich zum Original zu greifen.
Fazit
Hollow Earth Expedition will zweifellos pulpig sein und liefert daher viel Input dafür, wie man pulpige Geschichten umsetzten kann. Letztlich steht und fällt das aber mit der Akzeptanz der Genrekonventionen durch die Spielrunde. Nur weil es Regeltechnisch funktioniert, seine Maschinenpistole bereits bei der Charakterschaffung zu kaufen, erhöht es doch den Spielspaß, wenn man sich darauf einlässt, nicht immer perfekt ausgerüstet zu sein.
Das bruchstückhafte Setting erfordert entsprechende Arbeit durch den Spielleiter, der durch die Quellenbänder um mehr Orte und Gruppierungen, aber nicht durch Zusammenhänge ergänzt wird. Die Spieler hingegen dürfte es weniger stören, da sie im Idealfall ohnehin möglichst wenig im Vorfeld vom Setting lesen, um die Abenteuer- und Entdeckerlust zu erhalten. Für Spieler empfiehlt es sich, ihre Lektüre auf Regeln und die offensichtlichen Tatsachen zur Zeit der Handlung zu beschränken.
Ich selbst war von den Regeln zu Beginn sehr begeistert, aber das hat nachgelassen. Die Grundmechanismen sind einfach und insgesamt funktionieren die Regeln. Wer gerne viele Würfel wirft, kommt auf seine Kosten, andere können ihre Würfelmenge leicht durch automatische Erfolge beschränken.
Zahlreiche kleine Fehler sammeln sich und zeichnen ein schlechtes Bild von der Sorgfalt der Übersetzung und trüben mir den Spaß am Buch. Am meisten nervt der Index, über den ich selten in der Spielsitzung gesuchte Regeln gefunden habe und das Nachschlagen meistens den Spielern überlasse. Da es keinen Spielleiterschrim gibt, muss selbst einer gebastelt oder der Schirm von Space 1889 verwendet werden, welches den gleichen Regel zugrunde liegt.
Ob einem die Genrekonventionen und die vielen guten Ideen um Atlanter, Nazis und Dinosaurier im Verbund mit soliden, aber in meinen Augen nicht ausgezeichneten Regeln fast 40 Euro wert sind, muss man selbst entscheiden. Ich selbst würde meine Bücher zwar nicht extra verkaufen, mir aber bei einer neuen Kampagne überlegen, ob ich mir nicht lieber gleich mit den Pulp-Regeln von Savage Worlds aushelfe.
Einige Links zu Hollow Earth Epedition
HEX in der Präsentation des Uhrwerk Verlags
Daring Tales of Adventure – Savage Worlds Pulp